Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 26.03.2020 (RS C-99/19) Stellung zugunsten der Verbraucher bezogen- mit beachtlichen Folgen.
In der genannten Entscheidung ging es um die Frage, wie lange Verbraucherkreditverträge widerrufen werden können. So steht Verbrauchern, die einen Kreditvertrag abgeschlossen haben, grundsätzlich das Recht zu, diesen Vertrag innerhalb von vierzehn Tagen zu widerrufen und sich damit von Ihren vertraglichen Verpflichtungen wieder zu lösen.
Diese 14-tägige Frist beginnt frühestens mit Abschluss des Vertrages zu laufen, jedoch erst, nachdem der Verbraucher über sein Recht zum Widerruf hinreichend informiert wurde. Insoweit macht das Gesetz genaue Vorgaben darüber, welche Informationen der Verbraucher im Einzelnen erhalten muss, damit die Frist auch tatsächlich zu laufen beginnt.
Gegenstand der aktuellen Entscheidung war nun eine besondere Form der diesbezüglichen Informationsübermittlung, die seit Jahren gehäuft von Kreditinstituten praktiziert wird. Hierbei erhält der Verbraucher keine unmittelbare Auflistung der erforderlichen Widerrufsinformationen, sondern das Kreditinstitut verweist im Rahmen des jeweiligen Vertrages lediglich auf entsprechende Rechtsvorschriften, die ihrerseits auf weitere Rechtsvorschriften Bezug nehmen. Erst diese weiteren Rechtsvorschriften enthalten dann die für den Verbraucher relevanten Informationen.
Will der Verbraucher Zugang zu den gesetzlich vorgeschriebenen Widerrufsinformationen haben, so bleibt ihm nichts Anderes übrig, als sich selbst mit den jeweiligen Rechtsvorschriften auseinanderzusetzen. Für nicht wenige Verbraucher dürfte dies in den vergangenen Jahren einer unfreiwilligen Reise durch einen Irrgarten gleichgekommen sein.
In der Folge entschied nun folgerichtig das oberste europäische Gericht, dass der bloße Verweis auf gesetzliche Vorschriften nicht ausreichend ist. Der Verbraucher muss vielmehr in die Lage versetzt werden, den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtungen in hinreichendem Maße selbst bestimmen und überprüfen zu können.
Dies setzt eine klare und prägnante Information des Verbrauchers über sein Recht zum Widerruf voraus. Der bloße Verweis auf eine Rechtsvorschrift wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Mit dieser Entscheidung erteilt der Europäische Gerichtshof insbesondere dem Bundesgerichtshof eine deutliche Absage, welcher die bisherige Praxis der Banken bis zuletzt als rechtmäßig angesehen hatte.
Die fehlende Wirksamkeit der bisherigen Verweise
hat umfassende Folgen für die Praxis
Widerrufsfristen für den Verbraucher beginnen erst gar nicht zu laufen. Im Ergebnis können die jeweiligen Kreditverträge damit auch noch Jahre nach Abschluss widerrufen werden.
Dies dürfte besonders für Verbraucher mit Baufinanzierungsverträgen von großem Interesse sein: Immobilienbesitzer können die neuerliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nun dazu nutzen, um sich vorzeitig aus einem überteuerten Kredit zu befreien. Eine Vorfälligkeitsentschädigung wird dabei nicht fällig.
Aber auch im Rahmen von Kfz-Leasing- bzw. Finanzierungsverträgen entwickelt die neuerliche Entscheidung große Bedeutung. Widerruft der Verbraucher einen derartigen Vertrag kann er nämlich nicht nur das Fahrzeug zurückgeben, sondern erhält auch die Anzahlung sowie seine bereits gezahlten Raten zurück. Es ist zu erwarten, dass gerade Besitzer von Dieselfahrzeugen hiervon in großem Umfang Gebrauch machen werden.
Was bedeutet dies nun konkret für den einzelnen Kreditnehmer? Betroffen sind in erster Linie Verbraucherkreditverträge, die ab Juni 2010 geschlossen wurden. Insbesondere für Verbraucher mit Kreditverträgen, die in diesen Zeitraum fallen, lohnt sich daher eine Überprüfung, ob diese von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erfasst sind.
Sollte dies der Fall sein, so empfiehlt es sich, in einem weiteren Schritt für die Durchsetzung des Widerrufsrechts anwaltliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen, da derzeit noch nicht damit zu rechnen ist, dass die Kreditinstitute die jeweiligen Widerrufserklärungen „kampflos“ akzeptieren werden. Die diesbezüglichen Erfolgsaussichten sind nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs jedoch als ausgezeichnet einzustufen.